Sonntag und Montag in Berlin oder Demo und Dialog

AfD wollte gegen Islamisierung Berlins und Deutschlands protestieren. Es sollten 12 Tausend kommen. Im Endefekt kamen nur zwei Tausend.

In 13 Gegendemonstrationen und einfachen Zulauf einfacher Leute nahmen teil zig Tausende Demonstranten, die gegen Hass und Rassismus und für Demokratie und Toleranz auf die Strassen gingen. Bei den Gegendemos und den bis abend andauernden Parties und spontanen Strassenfeste nahmen ca. 100 Tausend teil. Well done, Berlin. ❤️ #StopptdenHass

Es ging um mehr als eine Demo. Die ganze Stadt war auf den Beinen. Sie feierten, tanzten, sangen, freuten sich und haben gesiegt!

Achtung: die Zahl 72. Tausend (an sich schon imponierend) war nur eine Zwischenbilanz. Soviele nahmen teil an der sechs größten Protestveranstaltungen in der Mitte; sie wurden um ca. 14 Uhr zusammengezählt.

Unten ein Bericht einer Demonstrantin unter Hunderttausend.

Anne Schmidt

Demonstration am 27.5.2018 in Berlin
gegen die AfD

Die Gegendemonstration wurde so umfassend angekündigt, wie es früher immer vor Demonstrationen gegen Rechts der Fall war. Wahrscheinlich hat Ulrich Matthes mit seinem Interview in der Berliner Zeitung ein Glanzlicht für die “glänzende Demonstration” gesetzt, das die Medien zu einer breiten Publikation dieser Veranstaltung veranlasste. Sogar ein kleiner Routenplan war in der Berliner Zeitung abgedruckt, der mir zeigte, wie ich am einfachsten auf schattigen Wegen zu dem (Gegen)Zug stoßen könnte, der schon im Prenzlauer Berg beginnen sollte.
Ich, fußlahme alte Frau, stieg nichts ahnend in Tempelhof in die U6, freute mich über die frische Luft und viel Platz im Waggon, als drei Stationen weiter eine lärmende, sichtlich aufgekratzte Menge von Jugendlichen in die Wagen stürmte.
Aus den Fragen und suchenden Blicken auf handy-displays war zu schließen, dass sie nicht aus der Mitte Berlins kamen.
An der Friedrichstraße verließ ich die desorientierte Gruppe, die nicht meinen Ausgang zur Spree nahm, sondern sich offensichtlich lieber den Ravern an der Siegessäule als den Theaterleuten am Bertolt-Brecht-Platz anschließen wollte.
Noch herrschte Ruhe auf der Friedrichstraße und ich fragte mich, ob ich etwa zu spät gekommen war. Aber auf der kleinen Bühne neben dem Brecht-Denkmal klärte ein Organisator darüber auf, dass in der Lehrter Straße eine Bockade errichtet worden sei und kurze Parodien uns die Zeit bis zum Eintreffen des Zuges verkürzen sollten.
Meine Bank im Schatten musste ich nach kurzer Zeit aufgeben, weil auf der anderen Seite der Spree ein ohrenbetäubender Lärm einsetzte. Menschen mit goldenen oder silbernen Umhängen zogen am Tränenpalst vorbei und unter der S-Bahnbrücke durch in Richtung Luisenstraße, über die sich die AfDler vom Hauptbahnhof kommend nähern sollten.
In Sorge den glänzenden Zug zu verpassen, machte ich mich eilends auf den Weg an den vollbesetzten Restaurant-Terrassen vorbei zur S-Bahnbrücke an der Albrechtstraße. Es staute sich auf der Brücke und ich musste plötzlich an Duisberg denken. Aber bevor bei mir Panik einsetzen konnte, war ich schon am jenseitigen Ufer angekommen und suchte mir eine Lücke zur Aufstellung.
Eine zierliche ältere Dame (etwa in meinem Alter) machte mir bereitwillig Platz und tippte in ihrem Handy herum; sie hatte ihre Leute verloren, mit denen sie wegen der Demo mit der Bahn aus Hamburg gekommen war.
So gut die Lautstärke es zuließ, erzählte sie mir von ihrer Begegnung mit alten rechten Säcken im Hauptbahnhof, die mit ihrer angeblichen unteren Potenz geprahlt hätten. Wir ergötzten uns an dem Konter ihrer Freundin, das sie bei nächster Gelegenheit in einen Slogan verwandeln wollte.
Als sich die erste Freundin bei ihr meldete, fand ich endlich eine Lücke im nicht enden wollenden Zug der Glänzenden.
Der Schlagzeuger hatte unter der Brücke das Echo zu einem besonders langen Solo genutzt und die johlenden und pfeifenden Menschen übertönt. Ein kleines Stück weiter wurde der Zug am weiteren Geradeausgehen von der Polizei gehindert.
Alle versuchten einen Platz am Brückengeländer zu erhaschen, um die Boote, die unterhalb der Luisenstraße auf der Spree lagen, zu sehen und zu bewundern; sie sahen aus, wie Mark Twains Flöße vom Mississippi, hatten aber große Boxen an Bord, um die fahnenschwenkende Masse, die sich von der Charite her auf die Brücke zubewegte, zu übertönen.
Der Coup war gelungen, denn trotz Straßensperre konnten die Gegner der AfD deren Singsang und Rufe übertönen.
Vor dem Brandenburger Tor verhinderten Polizisten aus Dresden den Weitermarsch der ca. 10.000 Menschen, aber alle Demonstranten wussten, dass jenseits des Brandenburger Tores, auf der anderen Seite der AfD, die Raver auf der Straße des 17. Juni herantanzten und auf der Wiese vor dem Reichstag Parteien und Gewerkschaften den Ring um den kleinen braunen Haufen vervollständigten. Der braune Haufen war umzingelt und konnte nur sich selbst beweihräuchern. Ihre Hetzreden gingen unter in Slogans wie “Nazis raus”. Die Demonstranten, die lieber bunt, glänzend und hedonistisch sein wollten, hielten lange aus, trotz einiger Regentropfen. Es war die größte Demonstration Berlins seit langem und sie endete genauso friedlich wie sie begonnen hatte.
Der riesige Polizeieinsatz war völlig überpropotionalisiert. Am Bahnhof Friedrichstraße hätte ich beinahe rohe Gewalt angewendet, um in den U/S-Bahneingang zu kommen, aber da der bullige Typ, der mir den Durchgang verwehrte, sich nicht auskannte, mussten wir nur über die Straße gehen, um ungehindert unsere U-Bahn zu erreichen.

***

Die Strassen bebten, die Menschen jubelten die Freiheit. In jedweder Hinsicht. Eine fröhliche Mischung von alten Love Paraden, Christopher Street Day and Karneval der Kulturen.

Berlin zwischen Siegssäule und Brandenburger Tor


Ewa Maria Slaska

Am nächsten Tag gab es im Auswärtigen Amt eine Veranstaltung zum Thema Polen in Deutschland.

Eine ziemlich viel versprechende Veranstaltung – es kommen zwei Politiker, die für deutsch-polnische Beziehungen zuständig sind, sie reden ganz ganz kurz und danach dürfen wir, das Publikum, Fragen stellen oder uns zu Wort melden. Ich habe mich gemeldet, wurde nicht akzeptiert. Obwohl ich nicht glaube, dass man so eine “blaue Frau”, wie ich an dem Tag aussah, übersehen kann. Deshalb möchte ich hier schreiben, was ich am Montag nicht sagen konnte oder dürfte. Es war eine Antwort auf drei nacheinander gestellten agressiven Fragen, wieso Deutschen uns Polen belehren, wieso dürfe ein Volk, dass in letzten Hundert Jahren zwei Weltkriege entfacht hat, uns, polnischen Patrioten sagen, was wir tun sollen? Usw.

Die Fragenden, nur Männer, gaben sich als private Personen aus, waren aber, um Fragen zu stellen, abgeordnet.

Frau Szczęch und Herr Woidke antworteten mit ein paar beruhigenden Parolen, die um diese patriotische Brei sich ziemlich schüchtern herumschlichen. Daher wollte ich folgendes sagen:

Ja, Pytający Panowie Patrioci – tak, die fragenden Herren Patrioten! Ja, tak, Sie haben recht. Die Deutschen, die in letzten 104 Jahren zwei Weltkriege entfacht haben, dürfen uns nicht belehren. Die gibt es aber nicht mehr. Die Deutschen von heute haben wie kaum eine Nation der Welt ihre Verbrechen offen gestanden, sich für das getane Unrecht entschuldigt und ihre Schuld aufgearbeitet. Und dies können wir Polen wohl und gut lernen, um nicht als die Ewiggestrigen immer wieder gegen den Deutschen ins Feld zu ziehen.

Und sicher könnten wir am vergangenen Sonntag von den Deutschen lernen, wie man sich sowohl spontan als auch institutionell gegen Hass und Rassismus erhebt.Wie fröhlich die Offenheit und Toleranz und Liebe und Freiheit sind.

Ich finde es richtig schade, dass ich es nicht sagen dürfte. Daher werde ich einen Link zu diesem Beitrag an Herrn Woidke und Frau Szczęch schicken…

***

Übrigens war Frau Szczęch in ihrer Aussagen ziemlich mutig, wenn man bedenkt, was die PiS Regierung über deutsch-polnische Beziehungen denkt… Ich glaube, sie wird gehen… Viel Glück Frau Szczęch!

Der blaue Spuk im Auswärtigen Amt: Ich und Herr Woidke und unser Buch von Michał Rembas und mir; Foto Krystyna Koziewicz.

2 thoughts on “Sonntag und Montag in Berlin oder Demo und Dialog

  1. Auf dem Facebook gefundener Kommentar zur Dialog-Veranstaltung:
    Christian Schmidt:
    Die Veranstaltung war ingesamt zeitlich zu knapp bemessen. Woran man sich wohl gewöhnen muss ist, dass sich PiS-nahe Leute unter das Publikum mischen und die Veranstaltung versuchen zu vereinnahmen. Im Raum verteilt, junge und alte Polen, die sich zum Teil als Privatpersonen ausgeben oder als Vertreter des Klubs der Gazeta Polska, schimpfen über das deutsche Fernsehen, dass ein falsches Bild von Polen zeigt und natürlich der Klassiker „deutsche Zeitungen schreiben -polnische Konzentrationslager-. Unterstützt wird der antideutsche Negativtenor durch den Vertreter von TVP, Cezary Gmyz, der wiederum anklagt, dass die Polonia in Deutschland nicht so unterstützt wird. Cezary Gmyz wird wahrscheinlich berichten, dass aufrichte Polen bei dieser Veranstaltung die Interessen Polens vertreten haben…oder so

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